Wir sind noch da – nicht sehr überraschend.
Interessant an dieser Weltuntergangshysterie scheint mir,
1. wie solche Phänomene zustande kommen und
2. wie Esoteriker und „Lichtarbeiter“, die so inbrünstig auf den Weltuntergang gehofft hatten, sich das Ausbleiben des „Aufstieg“ nun zurechtbiegen.
1. Wie kommt es zu solchen Weltuntergangsphantasien?
Mir ist bewusst, dass es sich hier um ein sehr vielschichtiges Phänomen handelt, welches nicht in Kürze umfassend dargestellt werden kann. Ich möchte daher nur auf ein paar Aspekte eingehen, die mir bemerkenswert erscheinen:
Man nimmt aus einem Maya-Kalender ein paar Daten und bastelt daraus einen weltumfassenden Zusammenhang. Das ist ein bewährtes Standardverfahren in der Esoterik-Werkstatt. Die Forschungen von Peter Brugger an der Universität Zürich haben gezeigt, dass EsoterikerInnen besonders stark Assoziationen produzieren. Sie sehen Zusammenhänge in der Welt, die eigentlich nur in ihrem Kopf vorhanden sind.
Assoziatives Denken ist nicht grundsätzlich problematisch. Es fördert auch eine Art von Kreativität.
Problematisch wird es nur, wenn die eigenen Assoziationen absolut gesetzt werden und jedes Bewusstsein dafür fehlt, dass es sich bei den in der Welt gesehenen Zusammenhängen auch um Kopfgeburten handeln könnte. Als Folge davon bleibt jede Selbstreflexion und jedes kritische Hinterfragen der eigenen Vorstellungen aus. Sie werden fraglos für real gehalten, genau wie der Weltuntergang am 21. Dezember 2012.
Peter Brugger konnte in seinen Untersuchungen auch zeigen, dass Esoteriker und psychotisch veranlage Menschen ähnlich denken, was die verstärkte Neigung zu Assoziationen angeht. In einer Psychose kann ein Mensch seine Assoziationen nicht oder nur eingeschränkt auf ihren Realitätsgehalt hin überprüfen. Esoteriker sollten dazu eigentlich in der Lage sein, unterlassen es aber oft. Und so werden dann beispielsweise mit höchster Überzeugung Weltuntergangstermine verkündet.
Die interessante Frage ist nun, weshalb bei Esoterikerinnen und Esoterikern der selbstkritische und fremdkritische Faktencheck so oft unterbleibt.
Meinem Eindruck nach spielt dabei eine gewisse Sinnsüchtigkeit eine Rolle. Alles muss bis zum Platzen mit Sinn und Bedeutung aufgeladen werden.
Wenn das nun jemand still für sich macht, ist wohl wenig dagegen einzuwenden. Wenn aber die fantasierten Zusammenhänge missionarisch in die Welt hinaus posaunt werden, stellt sich bei solchen Weltuntergangspropheten auch die Frage der Verantwortung. Und es stellt sich die Frage der Verantwortung auch bei den Medien, die mit solche Geschichten spielen und sie wenig reflektiert weiterverbreiten – oder auch bei der Werbung, die in vielfältiger Weise auf den bevorstehenden Weltuntergang angespielt hat.
Psychisch labile Menschen werden durch solche Prophezeiungen in Angst und Schrecken versetzt, Leute kündigen ihre Jobs und leeren ihre Bankkonten.
Nun kann man natürlich den Standpunkt vertreten, dass jeder selber Schuld ist, der solchen Stuss glaubt.
Die französische Dichterin Nathalie Sarraute hat diese Position so formuliert:
„So widersinnig es auch klingen mag, der eigentlich Verantwortliche für die Wirkung einer Information ist nicht der, der informiert, sondern derjenige, der informiert wird.“
Ich bin schon auch der Ansicht, dass es am Empfänger einer Information liegt, diese nicht einfach blind zu glauben, sondern kritisch zu prüfen.
Ich bin aber dezidiert auch der Ansicht, dass der Sender dafür Verantwortung trägt, was er oder sie in die Welt setzt.
Eine ganz ähnliche Problematik wie rund um diese Weltuntergangshysterie ist zu beobachten im esoterisch geprägten Teil von Komplementärmedizin und Alternativmedizin.
Auch hier werden am laufenden Band im Kopf Assoziationen produziert und als realer Bestandteil der Welt verkündet (und verkauft).
Esoterikerinnen und Esoteriker sehen an allen Ecken und Enden der Welt Heilenergien – in Steinen, Pflanzen, im Wasser, in Schwingungen und Energien aller Art. Wer da noch krank wird oder krank bleibt, der muss einfach selber schuld und noch nicht bereit für die Heilung sein.
Auch hier fällt eine absolute Grenzenlosigkeit auf und eine völlige Abwesenheit kritischer Selbstüberprüfung der eigenen Vorstellungen.
Und auch hier stellt sich die Frage der Verantwortung, wenn kranken Menschen falsche Hoffnungen verkauft werden und sie dadurch manchmal notwendige Behandlungen verpassen.
Mehr zu diesem Thema hier:
Diese Phänomene sind mit ein Grund dafür, dass ich die von mir angebotenen Heilpflanzen-Seminare und die Phytotherapie-Ausbildung als esoterikfrei deklariere (und dass ich es für wichtig finde, auch kritisches Hinterfragen zu vermitteln).
Siehe:
Esoterikfreie Pflanzenheilkunde – warum?
2. Wie gehen EsoterikerInnen bzw. „Lichtarbeiter“ mit dem Ausbleiben des Weltuntergangs um?
Der bevorstehende Weltuntergang war bei uns vor allem in der „Lichtarbeiter-Bewegung“ ein grosses Thema.
Ein führender „Lichtarbeiter“ und Buchautor hat angeblich bereits ein Interview mit dem Erzengel Michael geführt und dabei erfahren, dass die Planungen der höheren Mächte sich geändert hätten.
So geht es immer mit den Weltuntergangspropheten: Es werden auf Teufel komm raus Erklärungen und Ausreden gesucht, warum der Weltuntergang (noch) nicht stattgefunden hat. So lässt sich die eigene Kopfgeburt immer retten.
Damit sind die Lichtarbeiter allerdings nicht allein.
Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) glaubte nachgewiesen zu haben, dass es nicht mehr als 7 Planeten geben könne.
Er verteidigte seine These am 27.August 1801 nachdem dummerweise am 1.Januar 1801 ein 8. Planet entdeckt worden war, die Ceres. Als man Hegel darauf aufmerksam machte, daß seine Lehre mit den Tatsachen im Widerspruch stände, soll er geantwortet haben: “Um so schlimmer für die Tatsachen”.
Eines finde ich hier aber schon erstaunlich:
Es sind bereits unzählige Weltuntergangsprophezeiungen „in die Hosen gegangen“ und immer wieder wurden und werden die Fehlschläge uminterpretiert und unter den Tisch geredet.
Da zeigt sich doch ein sehr deutliches Muster. Und ausgerechnet die EsoterikerInnen, die überall Muster sehen, auch dort wo gar keines vorhanden ist, sind offenbar nicht in der Lage, dieses überdeutliche Muster zu erkennen.
Auch stösst offenbar die Grössenphantasie, dass da jemand behauptet, ein persönliches Gespräch mit dem Erzengel Michael geführt zu haben, in der Lichtarbeiter-Szene nicht auf Skepsis. Die Ego-Aufblähung, die mit solchen Aussagen verbunden ist, müsste doch auffallen.
Und die sprunghafte, unzuverlässige Planungsarbeit der höheren Mächte führt bei den Lichtarbeitern keineswegs zu Reklamationen…
Das Bedürfnis nach dem „Gross-Reine-machen“, nach einem radikalen Neuanfang, nach dem „Aufstieg“ in eine höhere Welt….etc. ist offenbar so stark, dass es sich sogleich an den nächstmöglichen Termin klammert.
Vielleicht wäre es ja stattdessen angesagt, statt immer so wahnhaft nach „oben“ zu streben ganz schlicht in der Horizontale anzukommen und sich mit den Menschen und der Gesellschaft hier und jetzt auseinanderzusetzen.
Und zum Schluss noch dies:
Gerade in Esoterikkreisen fühlen sich viele Menschen tief verbunden mit früheren Kulturen (Kelten, Schamanen, Indianer…). Sie merken aber offenbar nicht, wenn sie mit einem solchen Weltuntergangstheater ihre eigenen Phantasien den Mayas überstülpen oder unterjubeln. Mit den Mayas hat das ganze Theater kaum etwas zu tun.
Auch dies ist ein Phänomen, das in der „Eso-Szene“ vielfältig zu beobachten ist. Alte oder „exotische“ Kulturen werden als Projektionsfläche für eigene Bedürfnisse, Wünsche und Defizite missbraucht.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch